Nice to meet you: Thibaud Guyonnet

Exklusives Interview: Thibaud Guyonnet, Head of Buying im Voo Store Berlin, über den Einfluss von Social Media auf das Store-Sortiment und wie er stets die Balance in der Auswahl schafft.

 

PREMIUM: Wovon lassen Sie sich für den Einkauf in jeder neuen Saison inspirieren?

Thibaud: Bevor die Saison beginnt, recherchiere ich auf Social Media. Instagram ist zu einem so zugänglichen und effizienten Tool für Einkäufer geworden – nicht nur, um Inspirationen und Trends zu finden, sondern auch um Kontakte mit neuen und alten Brands zu knüpfen und zu pflegen. Obwohl es auch mal vorkommt, dass ich einen Termin vereinbare, nachdem die Brand mich direkt kontaktiert hat, gehe ich meistens selbst auf potentielle Brands zu.

 Wir sind immer noch ein kleiner Store mit praktischen Beschränkungen wenn es um neue Ware geht, aber wir versuchen stets neue, spannende Brands hinzuzufügen, an die wir glauben und die bisher in unserem Sortiment fehlen. Momentan möchte ich mehr Jungdesigner einbringen. In den letzten Jahren hat Voo Store viele große Namen gezeigt, z.B. Prada und Miu Miu. Wir sind unheimlich stolz auf unsere Luxusbrands, dennoch sind wir keine Boutique mit einem Fokus auf Luxus. Interessanterweise ist unsere größte Auswahl immer noch Nike und unsere Hauptkunden kaufen Sneakers und investieren eventuell ab und an in ein Prada-Teil. Daher ist es wichtig, dass wir nie vergessen, wer unsere Kunden sind: die Berliner. So kaufen diese nämlich ein; sie wollen Luxus mit einem lokalen Touch und einem Streetwear-Vibe.

P: Wenn man das Shoppingverhalten mit anderen Städten wie London oder Paris vergleicht, sieht man einen riesigen Unterschied.  

T: Absolut! Die Menschen in London, Paris und Mailand haben eine komplett unterschiedliche Art zu Shoppen, was womöglich auf deren Prioritäten im Leben schließen lässt. Berliner sind da mehr pragmatisch und entspannt und müssen sich sehr sicher sein, bevor sie einen Kauf eingehen. Wir behalten das stets im Hinterkopf. Immer wenn ich ordere oder mich mit Einkäufern treffe, kommt dieses Thema auf. Wir tauschen Ideen und Eindrücke aus – was in meinem Job sehr wichtig ist – und versuchen stets die Balance zu finden zwischen dem, was ich mag und was Voo so „Berlinesque“ macht.

P: Wie kuratieren Sie die Kollektionen im Voo Store? Welche Trends, Farben oder Materialien sind für HW18/19 wichtig?

T: Ich habe das unfassbare Glück, dass der große Kopf hinter Voo Store, Yasin, vollstes Vertrauen in meine Auswahl hat. Voo Store ist seit vielen Jahren sehr erfolgreich und ich habe große kreative Freiheit wenn es um das Selektieren und den „Order“-Knopf drücken geht. In gewisser Weise ist das, was man im Store und online sieht, eine Reflektion meines persönlichen und kritischen Geschmacks, gemixt mit einem Bewusstsein und Wissen über Trends, Ästhetik und Qualität.

P: Das führt dann wiederrum zum Thema Social Media und wie es jeden beeinflusst.

T: Oh, definitiv! Social Media trägt eine Menge zu unserer Store-Selektion bei und gleichzeitig spiegelt es unser Image und unsere Ästhetik wider. Ich kuratiere unsere Social-Media-Kanäle selbst und habe dadurch gelernt, was unsere Kunden wollen, was inspirierend ist und was einen Push durch Instagram benötigt. Wir haben ein starkes online Engagement, was aufgrund der Größe unseres Stores bemerkenswert ist. Ich bin davon überzeugt, dass der Schlüssel zum Erfolg im Storytelling auf unseren Social-Media-Kanälen liegt.  Wir sind weniger Produkt orientiert als andere Boutiquen; wir posten über die Nachbarschaft, das Leben in Berlin, die Backstage-Momente. Es fühlt sich persönlich an und ist zweifellos sehr „real“.

P: Auf welche Trends freuen Sie sich für FS19?

T: Das ist immer schwer zu beantworten. Ich spüre einen sehr spannenden 70er-Jahre-Vibe. Wir nennen es den „Scooby-Doo-Vibe“. In unserem Sortiment ist viel Braun und Gelb zu finden. Generell tendieren wir bei der Farbauswahl zu erdigen Tönen. Besonders Braun ist eine Farbe, die man mit so ziemlich allem mixen kann.

 P: Wie zum Beispiel mit einem zarten Rosa! 

T: Das ist das Allerbeste. Pink war letztes Jahr sehr gefragt. Es hat sich mittlerweile wieder beruhigt, deswegen bin ich umso gespannter, welche andere Farbe diese ersetzt.

 P: Werden Sie einige Trends auch weiterhin führen? 

T: Außer Braun? Hmm... wir gehen auf jeden Fall mehr und mehr in die Richtung des Schneiderns. Ich war vor kurzem in Südkorea und das hat mir die Augen geöffnet. Letztes Jahr trugen noch alle „Streetstyle“-Teile von OFF-White, Balenciaga, Vetements. Wenn in Seoul ein Trend auf den Markt kommt, kann man es direkt erkennen. Das Modebewusstsein ist dort sehr homogen. Dieses Jahr hingegen sah man fast nur Tailoring. Und das hat bestätigt, worüber ich selbst und viele andere Einkäufer diskutieren: Streetwear verliert allmählich seinen Reiz.

P: Es ist Zeit für eine Veränderung...

T: Eine dringend benötigte Veränderung, in der Tat. Streetwear hat seinen Boom und Hype gehabt, aber es braucht Reife. Voo Store wird immer einen Sporty/Street-Vibe einbringen, weil das immerhin Berlin ist. Aber ich freue mich jedes Mal sehr, wenn ich einen schönen Mantel im Store sehe. Es ist eine tolle Evolution; etwas, das vor drei Jahren vielleicht noch nicht so relevant war.

P: Wie sehen Sie die Zukunft der Mode? Wird das Konsumverhalten nachhaltiger?

T: Qualität, Nachhaltigkeit und Verbundenheit zu wertvollen Stücken sind was Kunden heute wollen. Im Voo Store versuchen wir dies darzustellen indem wir den Fokus wieder auf den Store und das damit einhergehende Erlebnis richten. Unser Onlineauftritt ist stark und wir schätzen die Möglichkeit des E-Commerce, einen Einblick zu geben, wer wir sind. Dennoch ist die wahre Stärke des Voo Stores der physische Laden mit den grünen Backsteinen in einem Kreuzberger Hinterhof. Wie viele andere Concept Stores legen wir unseren Schwerpunkt und Liebe auf das Shoppingerlebnis, unser Konzept und das Sortiment, und sehen den Online-Auftritt eher als Fenster in unsere Welt. Am wichtigsten ist aber, die Nachbarschaft zu promoten. Es geht nicht darum, unsere Zahlen jede Saison zu verdoppeln – nicht mehr. Heute ist es wichtig, deine Kundschaft zu kennen, in Berlin auf organische und intime Art zu wachsen. Die Community um den Voo Store zu fördern und zu unterstützen ist unser Hauptfokus für die kommenden Monate. Berlin hat so viele kreative Köpfe und Energie und wir wollen uns, mehr als je zuvor, wieder mit der Stadt vernetzen.

P: Berlin muss weiterhin gefördert werden.  

T: Ganz genau. Das Geheimnis, warum die Londoner Modeszene, zum Beispiel, sich stetig weiterentwickelt, ist, dass die Londoner an sie glauben, sie stimulieren, sie verändern und konstant hausfordern. Berlin leidet womöglich an der negativen Einstellung, die der Stadt in Sachen Modeproduktion entgegengebracht wird – wir alle haben schon mal den Satz gehört „hier gibt es keine richtige Fashion Week“ wenn die Berliner Fashion Week stattfindet, nicht wahr? Dieser Ansatz ist nicht hilfreich. Berlin muss in der Tat gefördert werden. Für den Voo Store habe ich für 2019 einige Projekte im Kopf um jüngere Berliner Designer zu pushen. Der Store ist für so etwas genau das richtige Umfeld: die Berliner freuen sich, neue und bekannte Gesichter zu sehen und Touristen können neue Talente entdecken.

P: Wie hat das Leben in Berlin Ihre Sicht auf Mode verändert?

 T: Berlin hat mein Gespür für und meine Perspektive auf Mode sehr beeinflusst. Ich bin mit 18 Jahren hierher gezogen und die Stadt hat mir seither bei der Entwicklung meines Geschmacks und Stils geholfen.

P: Also hat Berlin Sie auf eine gewisse Weise geformt?

T: Hat es, obwohl ich mich nicht als Repräsentant des Berliner Stils sehe. Schau mich an, ich trage Lederschuhe! Meine Kollegen sagen immer, dass ich eine alte Seele habe und mich wie ein 60-Jähriger Mann kleide. Ich glaube, ich bin irgendwie zwischen diesen beiden Welten. Ich schätze gute Strickwaren, aber ich trage auch gerne von Zeit zu Zeit meine Sneakers. Ich bin total hybrid – geformt durch meine französischen Wurzeln, den mailändischen Vibe meines italienischen Mannes und Berlins energischem Lifestyle. Die Stadt und ihr Pragmatismus beeinflussen mich trotzdem jeden Tag. Ich liebe schöne Mäntel, aber wenn man zur Arbeit radelt, ist es besser eine Funktionsjacke mit Reißverschlüssen zu tragen. The city’s impact is real!

Mehr entdecken im Voo Store in der Oranienstraße 24 in 10999 Berlin oder entdeckt den Onlineshop und auf Instagram Account.